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Von mei­ner Best­zeit über 5km bei den Ber­lin-Bran­den­bur­gi­schen Meis­ter­schaf­ten vor drei Wo­chen be­flü­gelt, habe ich mich auf die 10km sehr akri­bisch vor­be­rei­tet. Die 15:02min wa­ren ein­fach su­per und so ei­nen per­fek­ten Tag hat­te ich mir auch für den 14. Ok­to­ber ge­wünscht.

Die Great10k durch Ber­lin wa­ren dazu ge­dacht, mei­ne ak­tu­el­le Wett­kampf­leis­tung über 10km her­aus­zu­fin­den. Doch ich habe na­tür­lich die gan­ze Zeit mei­ne Best­zeit von 31:14 Min im Hin­ter­kopf ge­habt, die ich 2015 in Ei­len­burg bei Leip­zig ge­rannt war.

Das spe­zi­fi­sche Trai­ning für die 10km lief echt su­per und so ging ich mit ei­nem op­ti­mis­ti­schen Ge­fühl an den Start des na­tio­na­len Eli­te­fel­des, das mit ei­ner Hand­voll in­ter­na­tio­na­ler Spit­zen­läu­fe­rin­nen und -Läu­fer de­ko­riert war. Über 100 Eli­te-Ath­le­ten ka­men vor dem Schloss Char­lot­ten­burg zu­sam­men.

Bei rund 20 Grad und un­ge­trüb­tem Son­nen­schein fiel der Start­schuss zu der an­ge­neh­men Zeit um 11:56 Uhr. Das Haupt­feld star­te­te 4 Min spä­ter. Der Grund: das Haupt­feld durch­lief ei­nen Ab­schnitt hin­ter der Sie­ges­säu­le durch den Zoo­lo­gi­schen Gar­ten. Die­ser kur­ven­rei­che Ab­schnitt wur­de vom Eli­te­feld auf den brei­ten Stra­ßen Ber­lins um­lau­fen.

Ich star­te­te zu­sam­men mit Ri­chard Rin­ger und Arne Ga­bi­us. Doch schon nach we­ni­gen Me­tern wa­ren sie auf und da­von. Doch ich war nicht al­lei­ne un­ter­wegs. Ich be­fand mich qua­si in ei­ner gro­ßen Ver­fol­ger­grup­pe, die aus 20 bis 30 Läu­fern be­stand. Das war ein ganz be­son­de­res Ge­fühl. In so ei­nem gro­ßen Feld war ich sehr lan­ge nicht mehr un­ter­wegs. Der ers­te km war in 3:03min ge­nau nach mei­nem Ge­schmack. Ich fühl­te mich ex­trem lo­cker und hoff­te, dass das so blei­ben wür­de.

In der Grup­pe fühl­te ich mich wohl. Das Tem­po war gleich­mä­ßig. Nur ab und zu wur­de es un­ru­hig, wenn der böi­ge Sei­ten­wind das Gleich­ge­wicht stör­te. Am Ernst-Reu­ter-Platz er­reich­ten wir km zwei nach wei­te­ren 3:09 Min. Es war also et­was ru­hi­ger ge­wor­den. Doch ich wuss­te, dass ich nur in der Grup­pe bei die­sem Wind eine Chan­ce hat­te, gut durch­zu­kom­men. Ich woll­te mich nicht auf mei­ne Best­zeit ver­stei­fen und so ließ ich den Ge­dan­ken an sie los und so­zu­sa­gen links lie­gen. Ich ori­en­tier­te mich an den an­de­ren Läu­fern mei­ner Grup­pe.

Es ging nun wie­der et­was zü­gi­ger auf die Sie­ges­säu­le zu. Un­ter­wegs wur­de ich noch von mei­ner Mut­ter und ih­rem Mann an­ge­feu­ert. In der Grup­pe hat­ten sie mich gar nicht kom­men se­hen. Doch ich sah sie am Ran­de ste­hen. Ich freu­te mich über die­se Wert­schät­zung und An­feue­rung an der Stre­cke. Nach der Sie­ges­säu­le zog sich das Feld ge­gen den war­men Herbst­wind in die Län­ge.

Wir lie­fen nun auf dem Ab­schnitt, wo vor zwei Mo­na­ten der EM-Ma­ra­thon­wett­be­werb aus­ge­tra­gen wur­de. Mit da­bei an dem Tag als Läu­fer u.a. auch Mar­cus Schö­fisch – und ich am Stre­cken­rand. Nun sah es an­ders aus. Ich auch mit­ten­drinn da­bei, we­ni­ge Me­ter hin­ter Mar­cus.

Die 5km-Mar­ke er­reich­ten wir nach 15:35 Min. Das war ge­nau mein an­ge­streb­tes Tem­po. Doch plötz­lich wur­de die Grup­pe ge­sprengt und es ent­stand Un­ru­he. Die Zwi­schen­zeit hat­te bei den Läu­fern vor­ne wohl den Re­flex aus­ge­löst, schnel­ler zu wer­den, um mit der Pace auf un­ter 31 Min zu ge­hen. Ich sah bei mir dazu kei­nen Grund und woll­te das Tem­po erst­mal hal­ten. Erst 500 Me­ter spä­ter be­merk­te ich, dass ich nun fast al­lei­ne un­ter­wegs war. Die rest­li­che Grup­pe war zer­fal­len. Sie be­stand noch aus der Frau­en Spit­ze mit ih­ren Pa­ce­ma­kern, die aber sehr un­rhyth­misch lie­fen.

Nun schau­te ich gar nicht mehr auf die Uhr und such­te mei­nen ei­ge­nen Rhyth­mus. Den fand ich auch. Auf der Kant­stra­ße ver­such­te ich dann noch ein­mal an die Grup­pe vor mir her­an­zu­lau­fen. Aber das ge­lang mir al­lei­ne, mit den Wind­bö­en von der Sei­te nicht. Ich lief am Li­mit. Doch es war noch zu weit, um schon ei­nen lan­gen End­spurt an­zu­set­zen.

Ich teil­te mir nun die ver­blei­ben­de Stre­cke in Teil­ab­schnit­te ein und ver­such­te ei­nen gu­ten Schritt zu hal­ten. Das ge­lang auch ganz gut. Doch ich woll­te nicht kom­plett al­lei­ne lau­fen und such­te mir Un­ter­stüt­zung. Ich ließ die di­rekt hin­ter mir lau­fen­den Pa­ce­ma­ker für die Fa­vo­ri­tin der Frau­en auf­lau­fen. Da es drei Pa­ce­ma­ker für eine Frau wa­ren, war da auch noch Platz für mich. So konn­te ich im über­tra­gen­den Sin­ne ein­mal tief durch­at­men und über­le­gen, wie ich die letz­ten zwei Ki­lo­me­ter ge­stal­ten soll­te. Aber was gibt es da schon zu über­le­gen? Ein­fach durch­zie­hen na­tür­lich. In die­sem Mo­ment sah ich auch noch mei­nen Va­ter am Stra­ßen­rand ste­hen und hör­te auch sei­ne Rufe. Dan­ke, Papa.

Und dann ge­schah et­was Un­glaub­li­ches: eine jun­ge Dame, Ali­na Reh, flog re­gel­recht an uns vor­bei. Ich hat­te kei­ne Chan­ce mich selbst zu be­schleu­ni­gen und mich dran zu hän­gen. Ich war vom Kopf schon zu lang­sam. Die Bei­ne woll­ten und konn­ten aber ir­gend­wie noch. Aber ich muss zu­ge­ben, ich muss­te wirk­lich kämp­fen.

Die Pa­ce­ma­ker lie­fen nun mit Ali­na mit und lie­ßen die ke­nia­ni­sche Läu­fe­rin ste­hen. Das war nun aber nicht mein Pro­blem. Ich sah zu, auf die Ziel­ge­ra­de zu kom­men. Mei­ne Frau mo­ti­vier­te mich hier noch­mal und zün­de­te mei­nen End­spurt. Das Schloss Char­lot­ten­burg war schon in Reich­wei­te aber noch 700 Me­ter ent­fernt. Ich zog an, es ging leicht berg­auf, der Wind kam aber nun von hin­ten. Es fühl­te sich ein­fach gut an. Der letz­te km woll­te zwar nicht en­den, doch ir­gend­wie ge­noss ich die­se Mi­schung aus Schmerz, Über­win­dung und Vor­freu­de.

Na­tür­lich war ich auch ge­spannt auf mei­ne Ziel­zeit. Ich mo­bi­li­sier­te noch­mal alle Kräf­te. War die Best­zeit in Reich­wei­te? Ich schob mich un­ter dem Ziel­bo­gen über die Ziel­li­nie. Eine Uhr sah ich nicht. Die zwei­te Hälf­te war nicht so rund wie die ers­te. Doch bis auf Ali­na hat­te mich nie­mand über­holt. Ich schau­te auf mei­ne ei­ge­ne Uhr: 31:36min. „Scha­de“, dach­te ich. Doch an­de­rer­seits war ich selbst über­wäl­tigt von die­sem Lauf. Ich hol­te erst­mal wie­der Luft. Mehr ging heu­te nicht. Ich hat­te al­les ge­ge­ben.

Mar­cus und drei, vier an­de­re, wa­ren die zwei­te Hälf­te wirk­lich schnel­ler ge­lau­fen und hat­ten ca. 30 Se­kun­den vor mir das Ziel er­reicht. Im ers­ten Mo­ment habe ich mich ge­fragt, ob ich das viel­leicht doch auch ge­schafft hät­te, wenn ich an der Grup­pe dran­ge­blie­ben wäre. Doch es ist ganz ein­fach: ich wer­de es nicht mehr her­aus­fin­den. Beim nächs­ten Mal wer­de ich wie­der eine Chan­ce ha­ben und sie dann viel­leicht nut­zen.

Ich bin mit die­sem Lauf sehr zu­frie­den. Seit lan­ger Zeit bin ich wie­der in so ei­nem gro­ßen Feld ge­lau­fen und dicht an mei­ner Best­zeit ge­we­sen. Die­ser Was­ser­stand nach rund 10 Wo­chen­trai­ning gibt mir Zu­ver­sicht und Mo­ti­va­ti­on für das wei­te­re Trai­ning im Herbst und Win­ter. Nun habe ich ge­nü­gend Zeit, um mei­ne Form für das nächs­te Jahr wei­ter zu ver­bes­sern und viel­leicht auf ein neu­es Ni­veau zu brin­gen. ‎Ich ge­nie­ße das Lau­fen wie schon lan­ge nicht mehr. Ich dan­ke al­len, die dar­an ih­ren An­teil ha­ben und an mich Glau­ben. Der Lauf hat ge­zeigt, dass eine Best­zeit nicht plan­bar ist und das Kör­per­ge­fühl viel aus­schlag­ge­ben­der für die Ent­schei­dun­gen im Ren­nen sind als die Zwi­schen­zei­ten auf der Uhr. Ich bli­cke ent­spannt den nächs­ten Her­aus­for­de­run­gen ent­ge­gen und neh­me den Schwung die­ses lan­gen Spät­som­mers ger­ne mit.